Daheim im Nirgendwo

Wir „Deutschen“ seien „mütend“ geworden, leiden an einer kollektiven Depression und wir müssten dringend wieder raus aus dieser pandemischen Melancholie, so lese ich heute in einem Philosophie-Magazin. Dabei frage ich mich, ist das nicht eher die Wurzel allen Übels, dass wir jegliche Gefühle und Empfindungen einteilen in „richtig“ oder „falsch“? Dass uns als pathologisch erscheint, was nicht in die gesellschaftlich relevanten Stimmungsbilder passt?
Dass wir dadurch alles, was im Grunde untrennbar mit dem Leben verwoben ist, nämlich Trauer, Angst, Alleinsein, Unkontrollierbares und Unbekanntes, soziale Verantwortung und Verzicht, ausgrenzen müssen und es auf die Ebene der Behandlungsbedürftigkeit schieben? Sofort Ursacheforschungen anstellen müssen, weil wir erschöpft sind, müde und allein?
Haben wir es uns in unseren regenbogenfarbenen Pippi-Langstrumpf-Kinderzimmern inzwischen tatsächlich so bequem gemacht, in den scheinbar so schwerelos schwebenden Seifenblasen unserer Selbstgefälligkeit und sozialen Inkompetenz, dass wir kein Gespür und keine Kraft mehr haben für die Herausforderungen des Lebens? In den Vorstellungen des „Alles ist machbar“ und „Alles-für-mich“? Sind wir endgültig der Illusion aufgesessen, dass wir ein Anrecht auf immerwährendes Glück besäßen?
Haben wir wirklich die Fähigkeit verloren, die Schönheit im Verborgenen zu sehen, den zarten Hoffnungsschimmer in der Düsternis, uns vom Charme des Vergänglichen verzaubern zu lassen und dem Lauf des Schicksalhaften zu vertrauen?
Wenn ja, dann ist unsere Welt tatsächlich um vieles ärmer geworden. Denn was wären wir ohne die tröstenden Worte all der Künstler und Literaten wie Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Hans Christian Andersen, Mascha Kaleko und so viele andere mehr, die doch so sehr unsere Herzen berühren? Woraus wären sie entstanden, woraus geschöpft, wenn nicht aus erlebtem Schmerz und der Erkenntnis, dass das Geheimnisvolle immer auch eine Einladung ist und im Dunkel schützende Geborgenheit wohnt? Wandern zwischen Licht und Schatten und überall seine Heimat finden, die Melancholie ebenso sehr lieben, wie die Heiterkeit, sie annehmen als Teil der eigenen Seele – das ist die Kunst des Leben!
@Ilona Picha-Höberth 29. April 2021
 
 

Statement zur Astrologie

Ich äußere mich hier ja eher selten zum Thema Astrologie, weil ich weiss, dass die „Meinungen“ hierzu geteilt sind und mir Missionierungseifer in jeder Form fremd ist. Aber genau aus dem Grund, den ich den Gegnern dieser Lehre immer vorwerfe, nämlich, dass man zwar eine Haltung ihr gegenüber haben kann - ein Interesse oder Desinteresse – aber nicht über sie urteilen sollte, solange man das nötige Wissen um sie nicht hat (und ich spreche jetzt nicht von Zeitungshoroskopen und Zuckerwürfelastrologie), sehe ich jetzt ein zunehmendes Missverhältnis in den eigenen Reihen, das zu einer unzulässigen Vermischung von "subjektiver Meinung" und "objektiver Anwendung" unserer Lehre führt.
Astrologie hat eben nichts mit Glaskugel-Wahrsagerei zu tun. Man muss sie als Welterklärungsmodell erkennen und als solches über einen langen Weg erlernenund auch erfahren. Wer das nicht getan hat, kann also nicht über sie urteilen.
Was er jedoch kann, ist, das Verhalten derjenigen zu bewerten, die vorgeben, Asrologen zu sein und darüber, wie seriös oder wie manipulativ sie das tun.
Wer sie jedoch erlernt hat, der weiss nur zu genau, dass jede astrologische Aussage immer auch gefärbt ist von unseren Prägungen, unseren individuellen Sichtweisen und unseren anerzogenen Denkmustern. Allein dieses Wissen fordert uns zu Respekt und Zurückhaltung in allen als fatalistisch zu verstehenden Aussagen auf.
Das ist es nämlich auch, was die Astrologie in ihrer Anwendung gefährlich machen kann. Wenn der Astrologe sich dieser Befangenheit nicht bewusst ist oder sie vielleicht sogar willentlich nutzt, um Menschen, die seinen Rat suchen oder um die er wirbt, mit seiner persönlichen Ideologie zu beeinflussen.
Das ist eindeutiger Missbrauch! Und genau diesen Missbrauch gab es bereits in der Zeit des aufkeimenden Nationalsozialismus und es gibt ihn heute wieder!
Dagegen möchte ich mich eindeutig abgrenzen!
Ich verstehe die Astrologie nicht als Werkzeug, um meine Überzeugungen zu untermauern, sondern als Möglichkeit die Welt und auch den Menschen in all seinen Facetten zu erklären und zu verstehen.
Wenn Astrologen behaupten, die „Wahrheit“ aus den Konstellationen von Planeten herauslesen zu können und dadurch interessierte Menschen ideologisch beeinflussen, dann ist das für mich eindeutiger Missbrauch. Für mich ist es eine unbeschreibliche Selbstüberhöhung der eigenen Sichtweisen zu behaupten, die Planeten gäben uns eindeutige und unmissverständliche Antwort darauf, ob Politiker lügen, ob Presse gekauft oder ein Virus erfunden ist. Besonders, wenn sie das mit einem fast schon religiösen Fanatismus tun und die Verunsicherung ausnutzen, denen Menschen gerade jetzt ausgesetzt sind.
Wir Astrologen haben nicht das Recht, Menschen in ihrer weltanschaulichen, politischen oder spirituellen Überzeugung zu beeinflussen. Unsere Kenntnisse dienen einzig und allein dem Verständnis für das „So-Sein“, für die Konflikte, die wir mit uns selbst und unserer Umwelt auszutragen haben, der Aussöhnung mit dem eigenen Schicksal und der Entwicklung eigener Talente und Fähigkeiten. Diese Ethik scheint heute in vielen Teilen verloren gegangen zu sein.
Mich persönlich hat die Astrologie immer genau dort weitergebracht, wo sie mir neue Fragen aufwies und nicht dort, wo sie mir mit fatalistischem Eigensinn Dogmen überstülpte und gerade dadurch Grenzen aufzeigte.
Die Astrologie stellt uns Fragen, sie zeigt uns Wege und Möglichkeiten – sie gibt aber keine allgültigen Antworten – das tun Menschen!
Man kann derart manipulativen Übergriffe nicht mit dem Recht auf „freie Meinung“ oder „Toleranz“ begründen.
Und es gibt tatsächlich Zeiten, in denen Begriffe wie „Meinungsfreiheit“ oder „Toleranz“ zu Feinden jeglicher Ethik werden – wir leben gerade wieder in einer solchen!
@Ilona Picha-Höberth - April 2021 

 

Von Krähen und Menschen

Krähen sind Überlebenskünstler – ihr heiserer Schrei, so sagt man, stammt aus einer Zeit, in der es weder Sprache noch Musik gab. In ihm spiegelt sich das Donnern der Meere, das Grollen der Vulkane und das Ächzen der Gletscher. Krähen geleiten die Seelen der Toten durch die dichten Schleier der jenseitigen Welten und speisen sich selbst von Einhornzunge und Drachenleber.
Hugin und Munin – Gedanke und Erinnerung – hießen die treuen Begleiter und Ratgeber Odins, der auch der Rabengott genannt wurde.
Wie es scheint, mag Munin ein wenig flügellahm geworden sein – die Erinnerung bei vielen getrübt, wenn sie die Verbreitung von rechtem Gedankengut und das Marschieren unter Reichsflaggen als Offenheit und Toleranz deklarieren, nur weil sie sich in diesen Ecken Unterstützung und Förderung ihrer eigenen Bedürfnisse erhoffen und dabei vergessen, dass meist derjenige im Feuer umkommt, der damit spielt.
Und Hugin? Er flattert einstweilen wild mit seinen Flügeln und gewinnt keine Höhe, dort, wo die Winde von Rechthaberei und Besserwisserei in alle Richtungen blasen. Denn selbst dort, wo man sich einig scheint in den grundlegenden Fragen der Menschlichkeit, werden Begrifflichkeiten gegeneinander aufgewogen, werden Belehrungen über die Sache gestellt.

Aber eben nur, wie es scheint. Denn die Krähen werden sich über all das erheben – sie sind vertraut mit Seuchen und Krieg. Sie lieben den Donner und tanzen mit dem Blitz – sie schweben über wildes Meeesrauschen, die höchsten Gipfel und durch trockene Wüsten. Was uns Menschen begrenzt, kann sie nicht schrecken. Krähen sind aus Gedanken und Erinnerung gemacht – sie wissen alles und vergessen nichts!

@Ilona Picha-Höberth, Febr, 2021

 

 

Narrenkappe

Setzt du dir zum Erzählen einen verrückten Hut auf, so eine Narrenkappe?“ So lautet die häufigste Frage, die man mir stellt, wenn ich sage, dass ich Geschichtenerzählerin bin.

Nein, ich trage i.d.R. keinen Hut und schon gar keine Narrenkappe. Ich erzähle Geschichten nicht als Narr oder Närrin, nicht als Märchentante und auch nicht Sheherezade. Ich spiele keine Rolle und ich verberge mich nicht hinter Schleiern und Masken. Erzählen ist für mich Ausdruck meines Seins, meiner Eloquenz, meiner Kunst, meiner Erfahrung und meiner Sicht auf die Welt.

Vielleicht glauben viele, dass der Beruf des Erzählers so ungewöhnlich ist, so weit jenseits jeder gesellschaftlichen Verankerung, dass er nur im Gewand eines Narren ausgeübt werden kann.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass in unserer Gesellschaft eine recht romantisierte, verklärte Sicht auf den Narren besteht – nämlich die des weisen, klugen, gebildeten und oft sogar eingeweihten Unterhalters und Ratgeber von Herrschern und Regenten – und wer würde sich damit nicht gerne identifizieren?

Gewiss liessen sich Herrscher seit jeher von Narren unterhalten: durch Tanz und Spiel, durch allerlei Possen. Aber die Rolle des Narren war gerade im Mittelalter alles andere, als eine begehrliche und nur sehr, sehr wenige unter ihnen waren dazu auserkoren, an Höfen ihren Schabernack zu treiben.

Und auch der biblische Narr, wie ihn alte Psalterillustrationen darstellen, beschreibt einen „Unweisen“ (Insipiens), der den König David zwar verspottet jedoch nicht aus Jux und Schabernack oder gar aus einer mentalen Überlegenheit heraus, sondern schlicht und einfach, weil er Gott nicht kennt.

Somit steht der Narr in einer Reihe mit den Ehrlosen, den Gaunern und den Zwielichtigen, mit all jenen, denen aufgrund ihrer Einschränkung und Missbildung die göttliche Herrlichkeit verwehrt ist. Er ist dem Teufel verwandt, der für den Ursprung aller Narretei ursächlich ist.

Narren waren in der Regel also nicht die Klugen, die Gebildeten, die Gewitzten. Sie waren die Aussenseiter der Gesellschaft, die Entstellten, die Kleinwüchsigen und geistig Kranken. Sie, die nicht nach Gottes Ebenbild geschaffen waren, die ausgenommen waren von jeglicher jenseitigen Erlösung, waren nicht frei, sie waren vogelfrei.

Man lachte über sie, über ihre Einschränkungen, ihre Handicaps, ihre Qualen, aber man lachte nicht mit ihnen und auch nicht über ihre Spässe. Man hielt sie wie Tiere im Käfig und setzte sie jeder beliebigen Schikane aus.

Narren, also geistig und körperlich kranke Menschen wurden – besonders im jugendlichen Alter - in sogenannten „Narrenkäfigen“ ausgestellt und den Übergriffen der Passanen ausgesetzt. Sie wurden ausgestossen, geschlagen und vertrieben.

Narren wurden mancherorts auf Schiffe verfrachtet und dem offenen Meer übergeben.

Erst ab dem 14./15. Jahrhundert unterschied man zwischen natürlichen und künstlichen Narren. Die künstlichen gaben sich absichtlich dumm und tölpelhaft, machten sich über körperliche und geistige Gebrechen lustig, indem sie ihre Rolle spielten, während man die natürlichen Narren weiterhin mied und sie als gott- und ehrlos verabscheute.

Den Narren als klugen Possenreisser, der den Herrschenden einen Spiegel vorhält, verdanken wir also eher unserer Sehnsucht nach einem gerechtem Ausgleich innerhalb der Welt und – nicht zuletzt - der Romantik Shakespeares. In seinen Stücken erst wird der Narr zum gewitzten, listigen Ränkespieler, der die hierarchische Ordnung in Frage stellt.

Erst unsere Vorstellung drängt den Narren in die Rolle des Sängers, Spielers und Gauklers. Aber leider werden wir dadurch seiner traurigen Geschichte nicht gerecht.

Jedoch zeigt unsere Sicht auf den Narren, wie einseitig wir die Dinge unserer Vergangenheit betrachten: Wir sehen sie immer nur im Spiegel unserer eigenen Vorstellung und unseres Wunschdenkens. Willkürlich und beliebig schreiben wir das Narrativ um, wie es uns gefällt.

 

Gerade in der sog. „spirituellen“ Szene, bei der Auslegung von astrologischen Konstellationen oder in der Symbolik des Tarot besteht eine immer größer werdende Neigung zur infantilen Rosinenpickerei und einseitiger Vereinfachung. Wir umfassen die Archetypen nicht mehr in ihrer Vielschichtigkeit und Tiefe. Dabei färben wir Einhörner rosarot, degradieren Drachen zu Kuscheltieren und den Meerweibchen verpassen wir Schwänze aus Plastik. Wir glauben, wie im Obstregal eines Supermarktes uns den Apfel wählen zu können, der uns rotbackig und süss genug erscheint.

Negative oder unliebsame Erscheinungsformen eines Archetypus werden negiert, diejenigen, die uns nachahmens- oder erstrebenswert erscheinen, in den Vordergrund gerückt und wir sind überzeugt davon, sie mit neopsychologischen und pseudoesoterisch Denkenmustern in die Realität zwingen zu können. Die düsteren Erscheinungsformen, die elenden, die unschönen, die belastenden – übertragen wir einfach auf andere. Die „Guten“ ins Kröpfchen und die „Schlechten“ ins Töpfchen. Alles relativiert nach unserer eigenen Wunschvorstellung, die – so glauben wir – unser Lebensskript bestimmt.

Dies hat aber nichts mit ganzheitlicher Weltbetrachtung zu tun, nichts mit dem Leben und schon gar nichts mit Historie.

Vielleicht ist das mit ein Grund, warum wir gerade in einer Zeit der Fülle und des Friedens so schwer mit den Herausforderungen des Lebens zurecht kommen.

Jede Verletzung, jede Krise wird zum Trauma erklärt, jede Einschränkung zur ungerechten Doktrin. Die Einseitigkeit unserer Sichtweise verführt uns zu der anspruchsvollen Denkweise, wir hätten alle Freiheiten und Wunscherfüllungen dieser Welt verdient, wir dürften für immer Pippi Langstrumpf sein und uns das Leben so machen, „wie-de-wie-de-wie es uns gefällt“.

Aber der Schlüssel zu einem reichen, zufriedenen Leben liegt letztendlich auch in der Erkenntnis, daß es immerwährendes Glück nicht gibt, und daß wir uns selbst der Sterne berauben, wenn wir die Nacht leugnen. Erst in der Anerkennung dessen, was wirklich war und ist, liegt die Erlösung. Erst, wenn wir auf Kosmetik und Schönfärberei verzichten, ehren wir die Opfer unserer Vergangenheit und damit uns selbst.

Märchen und Mythen, Archetypische Erzählungen und auch die Astrologie sind wort- und bildgewordene Analogen auf unser Leben - sie können und sollten uns bestenfalls lehren, es so zu sehen, wie es ist , uns auszusöhnen mit allen Facetten des Seins und dazu gehört es auch, die Vergangenheit nicht zu verklären, sondern aus ihren Fehlern zu lernen.

 

Ich bin nicht Erzählerin, um in drollige oder groteske Rollen zu schlüpfen. Ich spiele weder Narr noch Närrin. Für mich ist es eine grundlegend falsche Haltung zu glauben, meine Geschichten fänden nur dann offene Ohren, wenn ich als Erzählerin nicht mehr ich selbst sein kann, wenn ich mich in lächerliche Gewänder hüllen oder Masken tragen müsste. Denn dann würde ich mein Mundwerk doch selbst nicht wirklich ernst nehmen.

Ich bin Erzählerin weil ich durch meine Geschichten bestenfalls an das tragische Schicksal von Narren aller Epochen erinnern möchte – so wie sich in all meine Geschichten die Geschichte Wort für Wort hineinwebt, um den Menschen, die sie erlebt und erlitten haben, ein Gesicht zu geben und dazu braucht es weder Narrenkappe, noch Marotte!

@Ilona Picha-Höberth 2020

 

Lass die Seele sprechen – nicht das Ego!

Der Buchmarkt ist überschwemmt von Lebensratgebern und biografischen Selbstbetrachtungen. Verlage und Autorenverbände beklagen mehr und mehr, dass es – trotz eines ständig größer werdenden Buchmarktes - immer weniger Schriftsteller zu geben scheint, die sich wirklich darauf verstehen, eine gute Geschichte zu erzählen.
Was mag der Grund sein? Ist die Schriftstellerei – wie alle Arten der Kunst – denn nicht auch ein Spiegel unserer Gesellschaft? Und bewegt sich nicht alle Kunst auf dem schmalen Grat zwischen Selbstdarstellung und Empathie, dem Einfühlen in die Welt mit all ihren zeitqualitativen Erscheinungsformen?
Erkennen wir in diesem Trend nicht auch die grundlegenden Tendenzen der heutigen Zeit, die wir doch alle so gerne beklagen: Egoismus, Selbstzentriertheit, mangelndes Wir-Gefühl und eine ausufernde Beschäftigung mit uns selbst?
Genau wie unsere häufig schon suchtartige Präsentation mittels mehr oder weniger gelungener Selfies und regelmäßigen Statements zu unserem Lifestyle in sozialen Medien, so zeigt auch diese Entwicklung auf dem Buchmarkt eine kollektiv verbreitete, unleugbare und stetig ansteigende Sehnsucht von Menschen nach Beachtung, Anerkennung und dem öffentlichen Zurschaustellen des persönlich Erlebten.

Zweifellos hat biografisches Schreiben eine psychologische Wirkung für den Autor selbst. Es zeigt, von einem therapeutischen Blickwinkel aus betrachtet, unstrittig heilsame Effekte, weil es hilft, die Vergangenheit zu reflektieren und Erlebtes aufzuarbeiten.  

Eines jedoch sind all diese mehr oder weniger selbstreflektierten  Beschreibungen des eigenen Erlebens mit Sicherheit nicht: Literatur!

Biografisches Schreiben beschäftigt sich ausschließlich mit dem eigenen Erleben, der eigenen Lebensproblematik, den eigenen Krisen, dem eigenen erlittenen Leid. Dieses „Sich-etwas-vom-Herzen-schreiben“ mag – wie gesagt – für viele ein wichtiger und sinnvoller therapeutischer Schritt sein.
Genauso mag es sich mit dem Schreiben von Lebensratgebern verhalten – wobei das eine oft auf dem anderen gründet. Viele Autoren, die ihren Einstieg ins Buchgeschäft über die Reflexion des eigenen Erlebens fanden, betätigen sich in der Folge schon bald mit Ratschlägen für die Allgemeinheit.

Beides hat jedoch nichts oder nur sehr bedingt mit der Arbeit eines Schriftstellers zu tun.
Das Erzählen und Schreiben von fiktiven Geschichten führt uns weg von den subjektiven Betrachtungen dessen, was wir erlebt haben. Jegliche Beschäftigung mit der eigenen Befindlichkeit ist hier kontraproduktiv, sie verhindert den Fluss einer Geschichte. Wer Geschichten erzählen will, muss sich in Selbst-Vergessenheit üben.
Schreiben wir, um unserer Erfahrungen zu reflektieren, tun wir das immer durch den Filter unserer eigenen, subjektiven Vorstellung. Der Vorstellung dessen, wie wir die Welt aus unserer Perspektive betrachten, der Vorstellung davon, wie wir die verschiedenen Protagonisten unserer sozialen Systeme, in denen wir uns bewegen – von den Herkunftsfamilien bis hin zu kollegialen oder gesellschaftlichen Verbänden – wahrnehmen und nicht zuletzt der Vorstellung davon, welche Rolle wir selbst in dieser Schilderung spielen wollen. Wie wollen wir, dass der Leser uns sieht?

Im Gegensatz dazu führt uns das Erzählen und Schreiben von fiktiven Geschichten weg von all diesen subjektiven Betrachtungen. Begeben wir uns auf die Pfade der Fantasie, wagen wir uns auf die Wege des Möglichen, ohne selbst darin eine bestimmte Rolle anzustreben, können wir jeglichen Vorsatz, jeglichen Versuch der Manipulation fallen lassen. Wir bedürfen keines Mitleides, keiner Bewunderung und keines Trostes mehr. Es geht nicht um den Schreiber – es geht um die Story.
Wir bewegen uns ohne Absicht und ohne das Bedürfnis, selbst einen Part innerhalb des Geschehens einzunehmen. Wir schlüpfen in die Rolle des Abenteurers, des Schurken, des Liebenden, des Mörders, des Lügners und des Diebes – ohne um unser eigenes Image fürchten zu müssen. Das Spiel mit verschiedenen Masken bewirkt also, dass wir unsere eigenen Masken fallen lassen können. Geschichten erzählen heißt sich einzulassen auf die Fülle der Möglichkeiten, es bedeutet den Verzicht auf jegliches persönliche Bedürfnis nach Interpretation, Gerechtigkeit, Perfektion und Selbstdarstellung. Geschichtenerzähler moralisieren und bewerten nicht – sie beschreiben – über das Spiel mit den Möglichkeiten - die Welt, wie sie ist, in all ihren Unzulänglichkeiten, in all ihrer Tragik, in all ihren Dramen.  
Geschichten erinnern uns an unsere Fähigkeit, das Leben anzunehmen, es auszukosten mit all seinen Höhen und Tiefen. Und ihre Helden sind meist nicht die Fehlerlosen, die Unschuldigen und die Gerechten, es sind die Gebrochenen, Zerrütteten, die, die selbst am Leben scheitern.

Fiktives Schreiben erfordert demnach nicht nur ein Maß an Fantasie, es bedingt Empathie. Genau die Fähigkeit, uns in einen Protagonisten, eine Sache oder ein Geschehen – in etwas „Anderes“ also - hineinfühlen zu können. Dies ist nur dann möglich, wenn wir unsere persönlichen Bedürfnisse und subjektiven Empfindungen für den Prozess des Schreibens ausklammern.

Und genau das macht einen Geschichtenerzähler, einen Schriftsteller aus: Dass er in der Lage ist, sich auf diese verwinkelten Pfade der Fantasie zu begeben, auf denen die Rollen von Opfer und Täter nicht immer klar getrennt sind, auf denen der Wunsch danach, der Welt eine von mir gewählte Facette meines Seins zu präsentieren, nicht im Vordergrund steht. Fiktives Schreiben erfordert Selbst-Vergessenheit, nicht Selbstzentriertheit. Es bedarf nicht der Masken des Selbstschutzes und es hegt keine Absicht.
Denn erst in dieser Absichtslosigkeit kann und wird sich die Seele des Schriftstellers offenbaren. Er schreibt sich selbst in seine Geschichten hinein. Aber völlig frei und unbewusst, ohne Pflege des eigenen Images, ohne moralischen Dogmen, nicht geleitet von Wünschen  - nach Schuldeingeständnissen, nach Heilung, nach Anerkennung, nach Trost und auch nicht davon, aus dem eigenen erlittenen Traumata heraus, selbst die Welt retten zu müssen (so verständlich all diese Wünsche auch sind).
Geschichten und Erzählungen heilen nicht durch Vorsatz und Moral. Sie belehren nicht und sie versprechen keine Heilung.
Im besten Falle aber heilen sie, weil sie etwas in uns „zum Klingen“ bringen, weil sie etwas ansprechen, mit dem unser eigenes Er-Leben korrespondiert, ohne dass sich darauf unser Wollen konzentriert.
Um zu dieser grundlegend heilenden Kraft von Geschichten zu finden, benötigen sie Absichtslosigkeit und Selbst-Vergessenheit.
Geschichtenerzähler können dies, weil sie nicht aus einer Bedürftigkeit heraus agieren. Sie nutzen ihr Gespür für archetypische Muster und bedienen sich aus dem Fundus ihrer eigenen Vorstellungen ebenso, wie aus dem unermesslichen Schatz der kollektiven Erfahrungen.
Durch diese Kunst werfen sie Licht auf die verborgensten Winkel unseres Seins und lassen sie in Erscheinung treten, lebendig werden, ohne vorherige Interpretation und ohne vorsätzliche moralische Bewertung. Gute Geschichten brauchen Absichtslosigkeit und Selbst-Vergessenheit, um sich zu offenbaren: ehrlich und nackt.

@Ilona Picha-Höberth 2020

 

Über mein Buch "Dunkles Land"

Oft werde ich gefragt, wie ich ein Buch, wie das „Dunkle Land“ überhaupt schreiben konnte – ein Buch, dass sich mit Themen wie Tod, Trauer und Vergänglichkeit beschäftigt, die doch so viel Angst in uns hervorrufen – Angst und Abwehr?

Die Antwort ist ganz einfach: Warum sollte ich nicht über ein Thema schreiben, das uns alle betrifft? Nicht nur in der Beratungssituation, sondern auch im persönlichen Erleben, im alltäglichen Miteinander?

Ja, es stimmt: Der Tod, das Unabwendbare, der Verlust – all das macht uns Angst – aber dennoch sind diese Dinge fester Bestandteil unseres Lebens. Jeder von uns wird sich – früher oder später – also dieser Angst stellen müssen.

Für mich war es am Ende immer die Angst, die mir neue Türen öffnete , sobald ich den Mut fand, sie zu durchschreiten

Es war die Angst vor dem „Schicksalhaften“, die mich vor fast 40 Jahren dazu brachte, die Astrologie zu erlernen;

es war die Angst vor dem Sprechen, die aus mir eine Geschichtenerzählerin machte;

es war die Angst davor, mich auszudrücken, die mich zum Schreiben drängte;

es war die Angst vor dem Verlust des Augenlichtes, die aus mir eine Fotografin machte;

Und nicht zuletzt war es die Angst vor Verlust und Tod, die mich in die Hospizarbeit führte.

Ich möchte mit diesem Buch Verständnis wecken für unsere eigenen Ängste aber auch für die Ängste der Anderen. Weil gerade diese Angst oft dazu verleitet, vorschnell über den Anderen hinwegzugehen, ihm Rat-“SCHLÄGE“ zu erteilen, wo es angebrachter wäre, ihm Raum zu geben und ein offenes Ohr zu schenken.

Ich wünsche mir einen respektvollen Umgang mit Menschen in schwierigen und scheinbar oft ausweglos erscheinenden Lebensphasen und dazu möchte ich meine Erfahrungen in der Trauer- und Sterbebegleitung teilen. Deshalb richtet sich dieses Buch nicht nur an beratende Astrologen, sondern an jeden, der sich vor die Frage gestellt sieht: „Wie gehe ich mit Menschen um, die gerade in einer solchen Verlustsituation stecken?“

Ich möchte Mut machen, sich einzulassen auf das eigene „Dunkle Land“, weil die Angst des Anderen nichts anderes ist, als meine eigene.

@Ilona Picha-Höberth 2019